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Die geheimnisvolle Geige von Augsburg
Es begab sich zu einer Zeit, als die Winde des Winters heulend durch die kopfsteingepflasterten Gassen Augsburgs zogen, dass ein Mann von großer Fertigkeit und noch größerem Geheimnis sein Handwerk in der Dominikanergasse 18 ausübte. Samuel Rusch, ein Meister der Violinherstellung und der Restaurierung von Saiteninstrumenten, war weithin bekannt für seine außergewöhnlichen Fähigkeiten, doch die Legenden, die sich um seine Werkstatt rankten, waren von noch größerem Interesse.
Samuel war ein Mann von mittlerem Wuchs und fortgeschrittenem Alter, mit einem Bart, der die Farbe von Herbstlaub hatte. Seine Werkstatt war ein Ort voller Wunder und Geheimnisse, in welchem der warme Duft von Holz und Lack die Sinne betörte. Hier, inmitten von Werkzeugen, deren Zweck nur der Eingeweihte verstand, ruhte eine Geige, die anders war als alle anderen.
Die Stadt Augsburg, ein Ort von stolzer Geschichte und lebhaften Märkten, war damals in eine Decke aus Schnee gehüllt. Es war eine Zeit, in der die Menschen Geschichten am Kamin erzählten, um die langen Nächte zu vertreiben. Und so erzählte man sich die Geschichte von der Geige, die aus dem Holz eines Baumes gefertigt war, der einst auf einem alten Schlachtfeld gestanden hatte. Man munkelte, dass der Baum die Schreie der gefallenen Seelen in sich aufgenommen hätte, und dass die Geige, die aus ihm gemacht wurde, diese Schreie in Musik verwandelte.
Samuel Rusch war sich der Geschichten bewusst, doch er hütete das Geheimnis der Geige wie einen Schatz. Eines Abends, während die Schatten in seiner Werkstatt länger wurden, trat ein Fremder ein. Er war in einen schweren Mantel gehüllt, und sein Gesicht war von der Kälte gerötet. Der Fremde stellte sich als Meister Anselm vor, ein fahrender Musiker, der von der sagenumwobenen Geige gehört hatte und darum bat, sie spielen zu dürfen.
Nach einigem Zögern willigte Samuel ein, unter der Bedingung, dass Anselm die Geige niemals außerhalb der Werkstatt spielen dürfe. Der Musiker stimmte zu und nahm das Instrument vorsichtig in die Hand. Als er den Bogen über die Saiten zog, erfüllte der Klang die Werkstatt mit einer Melodie von solch erhabener Traurigkeit, dass selbst die Wände zu weinen schienen.
Doch kaum hatte Anselm das letzte Stück gespielt, als ein seltsames Lächeln über sein Gesicht huschte. Er legte die Geige nieder, dankte Samuel und verschwand ebenso plötzlich, wie er gekommen war, in die Nacht. Samuel stand noch lange da, nachdenklich und voller Sorge, denn er wusste, dass die Melodie, die Anselm gespielt hatte, nicht von dieser Welt war.
In den folgenden Tagen verbreiteten sich Gerüchte in Augsburg, dass Anselm die Geige mit sich genommen hatte und nun in den Dörfern spielte, wo die Menschen in Tränen ausbrachen und von Visionen geplagt wurden. Samuel, der sich der Verantwortung für die Geige bewusst war, machte sich auf die Suche nach Anselm, entschlossen, das Instrument zurückzubringen.
Nach vielen Wochen fand er den Musiker in einem kleinen Dorf, erschöpft und von Reue geplagt. Anselm gestand, dass die Geige ein Eigenleben entwickelt hatte, das ihn dazu brachte, überall zu spielen, wo die Menschen zuhörten. Gemeinsam beschlossen sie, die Geige an ihren Ursprungsort zurückzubringen: den alten Schlachtbaum.
Und so, an einem klaren Wintermorgen, begruben sie die Geige unter den Wurzeln des Baumes. Als sie fertig waren, erhob sich ein leichter Wind, der die Melodie der Vergangenheit mit sich trug. Samuel und Anselm wussten, dass sie das Richtige getan hatten.
Von diesem Tag an war die Werkstatt in der Dominikanergasse 18 ein Ort der Ruhe, und Samuel Rusch ein Mann, dessen Geheimnis sicher in der Erde ruhte. Und die Menschen von Augsburg erzählten noch lange von der Geige, die einst die Schreie der Seelen in Musik verwandelte.
THE END.